Gero Menzel, Research Associate, Goethe University Frankfurt
Am 8. April wurden die letzten Corona-Maßnahmen, die FFP2-Maskenpflicht in Krankenhäusern und Apotheken, nicht verlängert. Damit ist Deutschland zumindest politisch in einen post-pandemischen Zustand eingetreten. Der größte Teil des gesellschaftlichen und auch des kirchlichen Lebens ist schon länger zu einer Art ‚neuer alter Normalität‘ zurückgekehrt.
Als wir Mitte März in die Feldphase eintraten, erlebten wir, das deutsche ReCoVirA-Team, ein Feld, in dem die Auswirkungen der Pandemie noch präsent waren. Die Zahlen der Gottesdienstbesucher sind oft niedriger als vor der Pandemie, die Menschen zögern immer noch, sich die Hände für den Friedensgruß zu schütteln, die Hände werden vor der Spendung der Eucharistie desinfiziert und einige andere Hygienemaßnahmen sind noch immer in Kraft. Doch viele ist momentan in Bewegung. Der beliebte Livestream aus der Bischofskapelle in Limburg, der im März 2020 gleich zu Beginn des ersten Lockdowns seinen Anfang fand, wurde nach einem Stream Ostermesse eingestellt. Viele Arten von Veranstaltungen, Gottesdiensten und Zusammenkünften, die während der Pandemie entstanden sind, wurden bereits eingestellt, werden derzeit eingestellt oder an die neuen Gegebenheiten angepasst. Ramadan 2022 war der erste Ramadan seit zwei Jahren ohne Corona-Beschränkungen, Ramadan 2023 bereits der zweite.
Die Gesellschaft und mit ihr die Religionsgemeinschaften scheinen sich auf ein Leben nach der Pandemie eingestellt zu haben. Das bedeutet nicht, dass die Auswirkungen der letzten drei Jahre einfach verschwunden sind, aber in einem Zustand der Erholung, eine etwas begrenzte Übersetzung des englischen Wortes recovery, nach dem sich Akronym ReCoVirA bildet, haben sich die Praktiken verändert. Wie Stephan Lessenich in seinem Buch Nicht mehr normal beschreibt, ist Normalität etwas, das durch alltägliche Praktiken hergestellt wird. Das Gleiche gilt für Prozesse der Wiederherstellung oder der Rückkehr zur Normalität. Das bedeutet, dass wir in diesen Zeiten der Erholung beobachten können, welche Praktiken und Mechanismen in einem post-pandemischen Zustand zur Anwendung kommen, wie sie verhandelt werden und welche Prioritäten sich herausbilden.
Anknüpfend an einige Vorgängerstudien (CONTOC, midi, ReTeOG…) geht es nun um die Frage: “Wie formieren sich Religionsgemeinschaften angesichts aller Herausforderungen, Veränderungen und der in der Pandemie entwickelten Kreativität?”. An diese Frage knüpft an eine andere an, nämlich wie sich die Rolle der Religion im öffentlichen Leben verändert hat und verändert. Der Religionsmonitor 2023 legt nahe, dass die Religion in der Corona-Krise, wenn es Angebote im Umgang mit Krisen geht, nicht mehr den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert wie zuvor hat. Es hat sich gezeigt, dass Politik und Medizin im Krisenmanagement und der Orientierung in Krisen von den Bürger:innen als wichtiger wahrgenommen wurden. Religiöse Einrichtungen sind für religiöse Menschen nach wie vor eine wichtige Ressource und eine wichtige gesellschaftliche Institution in Krisenzeiten, aber ihre gesellschaftliche Wahrnehmung scheint sich verändert zu haben.
Die Einschränkungen durch die Pandemie haben die Religionsgemeinschaften gezwungen, sich für digitale Formate und eine digitalisierte Öffentlichkeit zu öffnen. Allerdings sind nicht alle Religionsgemeinschaften online gegangen und nicht alle haben sich mit diesem Umfeld vertraut gemacht. Wird dies insbesondere traditionelle Religionsgemeinschaften in den gegenwärtigen Zeiten multipler Krisen auf einer tieferen Ebene beeinflussen? Wie gehen die Religionsgemeinschaften mit der digitalisierten Öffentlichkeit um, insbesondere die der jüngeren Generationen?
Literature
Churches Online in Times of Corona (CONTOC) (2021). Ergebnisse zur CONTOC-Studie, Sektion Deutschland. Aufbauend auf die erste ökumenische Tagung am 13.4.2021. PDF-Bericht. https://contoc.org/wp-content/uploads/2021/04/Ergebnisse-zur-CONTOC-Deutschland-Tagung-13.04.2021-1.pdf.
CONTOC2 (28. September 2022). Für die evangelischen Kirchen in Deutschland und in der Schweiz. Foliensatz. https://contoc.org/wp-content/uploads/2022/09/CONTOC2-Erste-Ergebnisse.pdf.
Hillenbrand, C., Pollack, D., & El-Menouar, Y. (2023). Religion als Ressource der Krisenbewältigung? Analysen am Beispiel der Coronapandemie. Religionsmonitor: Vol. 2023. Bertelsmann Stiftung.
Hörsch, D. (2020). Digitale Verkündigungsformate während der Corona-Krise.: Eine Ad-hoc-Studie im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland. Evangelische Arbeitsstelle midi. https://www.mi-di.de/media/pages/materialien/digitale-verkuendigungsformate-waehrend-der-corona-krise/f0b254d2b8-1598620182/midi-ad-hoc-studie-digitale-verkuendigungsformate-waehrend-der-corona-krise.pdf
Hörsch, D. (2021). Gottesdienstliches Leben während der Pandemie.: Verkündigungsformate und ausgewählte Handlungsfelder kirchlicher Praxis – Ergebnisse einer midi-Vergleichsstudie. Evangelische Arbeitsstelle midi. https://www.mi-di.de/media/pages/materialien/gottesdienstliches-leben-waehrend-der-pandemie/065d6d852f-163223314/midi_gottesdienstliches-leben-waehrend-der-pandemie.pdf
Lessenich, S. (2022). Nicht mehr normal : Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs. Hanser.
Reimann, R. P & Sievert, H. (2021). Studie zu Online-Gottesdiensten 2021: Update der Befragungsstudie „Rezipiententypologie evangelischer Online-Gottesdienstbesucher*innen während und nach der Corona-Krise“. https://medienpool.ekir.de/A/Medienpool/92419?encoding=UTF-8
Schlag, T., & Nord, I. (2021). Kirche in Zeiten der Pandemie: Erfahrungen – Einsichten – Folgerungen : Einblicke in die internationale und ökumenische CONTOC-Studie. Deutsches Pfarrerblatt. Advance online publication. https://doi.org/10.5167/UZH-217645
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“An illustration showcasing the use of digital tools, such as smartphones or tablets, by religious leaders or practitioners to connect with their communities virtually”